Desaster für den US-Flugzeugbauer Boeing: Der eigentlich definitiv für Ende Juni angekündigte Erstflug der neuen 787 „Dreamliner“ muss erneut verschoben werden. Während die Kunden langsam sauer werden, hat die Branche nur noch Spott für den Airbus-Konkurrenten übrig. Wann der einstige Hoffnungsflieger abheben wird, ist vollkommen offen.Desaster für den US-Flugzeugbauer Boeing: Der eigentlich definitiv für Ende Juni angekündigte Erstflug der neuen 787 „Dreamliner“ muss erneut verschoben werden. Während die Kunden langsam sauer werden, hat die Branche nur noch Spott für den Airbus-Konkurrenten übrig. Wann der einstige Hoffnungsflieger abheben wird, ist vollkommen offen.
Ein Festakt zum Start des Sommers hätte es werden sollen, der Beginn einer neuen Ära des Fliegens. Doch Dienstagfrüh, 6.07 Uhr Ortszeit in Seattle, blieb Boeing wieder mal nur der Griff zur Notbremse: Nach zwei Jahren Verspätung und fünf Programmverschiebungen verkommt der bei seiner Premiere als Wunderflieger gefeierte Boeing-Jet 787 („Dreamliner“) immer mehr zum Pannenflieger.
Wenige Tage vor dem erwarteten Erstflug des besonders sparsamen Langstreckenflugzeugs musste Boeing die nächste Verzögerung einräumen. Noch bei der Paris Air Show vor einer Woche hatte Boeing an dem Juni-Termin für seinen Erstflug festgehalten.
Während der jüngsten Tests seien Probleme aufgetaucht, die „strukturelle Modifikationen“ an der Verbindung zwischen Rumpfseite und Flügel nötig machten, teilte Boeing mit. Der US-Konzern könne deshalb erst in einigen Wochen einen abermals veränderten Programmplan kommunizieren. Scott Carson, Chef der zivilen Luftfahrtsparte von Boeing, räumte dabei ein, dass er weitere Verzögerungen auch des Zeitpunkts der ersten Auslieferungen erwarte.
Dabei steht ein Auftragsvolumen von rund 140 Mrd. Dollar auf dem Spiel. Der Airbus-Rivale hat bereits 865 Bestellungen von 56 Fluggesellschaften eingesammelt, noch bevor der erste Test-Jet überhaupt abgehoben hat. Erste Stornierungen unzufriedener Kunden sind dabei abgezogen. Der Chef von Qatar Airways, Akbar Al Baker, drohte kürzlich an, ebenfalls aus dem Milliardenpoker mit der 787 auszusteigen (80 Bestellungen): „Boeing wird leider nicht von Geschäftsleuten geleitet, sondern von Erbsenzählern und Rechtsanwälten,“ wütete er.
Die jüngste Nachricht aus Seattle erwischte Investoren auf dem völlig falschen Fuß und führte zu empfindlichen Abschlägen an der Börse. Aktien des Dow-Jones-Schwergewichts rutschten um bis zu sieben Prozent ab und verstärkten den Druck auf das Management.
Im Zuge der ausufernden Probleme hat Konzernchef Jim McNerney bereits den Leiter des 787-Programms, Mike Bair, sowie zahlreiche andere Manager ausgetauscht. Bair hatte nach seiner Abberufung das veränderte Geschäftsmodell scharf kritisiert: Es sei besser, die Hersteller großer Rumpfteile lägen wieder „auf der anderen Straßenseite als am anderen Ende der Welt“, hatte Bair moniert. Um Kosten zu sparen und das Risiko zu streuen, verteilte Boeing nicht nur die Fertigung wesentlicher Teile der 787, sondern auch deren Entwicklung über mehrere Kontinente – insbesondere nach Japan.
Am Dienstag erinnerten sich Branchenexperten wieder an Bairs Kritik: Der aktuelle 787-Programmchef Pat Shanahan räumte ein, dass Boeing mit den japanischen Zulieferern Mitsubishi und Fuji zusammenarbeiten müsse, um die aufgetretenen „Abweichungen vom Modell“ zu beheben. Es handele sich dabei nicht um ein grundsätzliches Problem an der Struktur des Flugzeugs, sondern lediglich um eine Stelle an der Rumpfseite von der Größe „etwa einer Handfläche“, die verstärkt werden müsse, sagte Shanahan.
Weshalb ein angeblich so kleines Problem eine erneut wochenlange Verzögerung verursache, wurde das Management in der Telefonkonferenz gefragt: Zivilluftfahrt-Chef Carson verwies auf das Gebot, dass die Sicherheit in der Luftfahrt zwingend Priorität habe.
Verzögerungen bei Flugzeug-Entwicklungen sind in der Branche eher die Regel als die Ausnahme. Auch Airbus hatte zuletzt massive Probleme, seinen stolzen Riesenvogel A380 in die Luft zu bringen. Die Verspätungen des ersten Langstreckenflugzeugs mit Kohlefaser-Rumpf übertreffen das A380-Debakel jedoch deutlich. Für Rob Stallard, Luftfahrt-Analyst bei Macquarie Research, ist der „Dreamliner“ nur noch ein „Lateliner“: Das Vertrauen „aller Stakeholder“ in Boeing sei durch die immer neuen Verzögerungen bei der 787 „ernsthaft beschädigt“, sagte Stallard.
Der Ideenwettbewerb um Spottnamen ist in der Branche inzwischen vielfältiger als der ewige Zweikampf zwischen Airbus und Boeing. Als der Riesen-Airbus A380 von einer Panne in die nächste lief, erhielt der Doppeldecker Namen wie "Toulouse Goose" (Touloser Gans) oder "A3-Turkey". Auch beim Erzrivalen Boeing ließ Häme nicht lange auf sich warten: Nach dem Design des "Sonic Cruiser", der vor Jahren zum "Chronic Snoozer" (Chronischer Döser) wurde, fürchtet Boeing nun um das Image seines Dreamliner. In Luftfahrtforen ist zunehmend nicht mehr von der „Seven-Eight-Seven“ die Rede, sondern von der „Seven-Late-Seven“.
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