Flugzeugindustrie: Steigflug aus der Krise - aber mit neuen Herausforderungen
Die internationale Luftfahrtindustrie ist nach mehreren Krisenjahren wieder im Steigflug. Nach drastischen Einbußen im Passagierverkehr in Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001, der SARS-Epidemie in Asien und der allgemein schlechten Wirtschaftsentwicklung, flogen die Airlines im Jahr 2004 erstmals wieder so viele Passagierkilometer wie zu Beginn des Jahrtausends.
Entsprechend sind die Auftragsbücher der Flugzeughersteller gut gefüllt und die Erwartungen der Investoren hoch gesteckt. "Doch darf die Erholung nicht darüber hinweg täuschen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Flugzeugindustrie in den kommenden Jahren Grund legend ändern werden. Neue Kundengruppen mit neuen Anforderungen und die absehbare Verschärfung der Umweltschutzauflagen stellen die Flugzeugindustrie vor neue Herausforderungen", betont Peter Albrecht, Eurofirm Industrial Products Leader bei PricewaterhouseCoopers (PwC). Die aktuelle PwC-Studie "Civil Aerospace in the 21st Century - Business as usual or a fresh start?" zeigt die wesentlichen Veränderungen auf:
- Die Region Asien-Pazifik - hier vor allem China - wird die USA und Europa in den nächsten zwanzig Jahren als Wachstumsmarkt im internationalen Luftverkehr überholen. Flugzeughersteller, die von diesem Boom profitieren wollen, müssen verstärkt vor Ort investieren.
- Die großen, etablierten Fluggesellschaften haben ihre dominierende Stellung als Kunden der Flugzeugindustrie verloren. Billigflieger und Leasinggesellschaften werden nicht nur immer wichtiger, sie stellen auch andere Ansprüche an Flugzeugdesign und Serviceangebote.
- Auf Grund der in Europa anstehenden Deregulierungsbestrebungen dürfte hier die Nachfrage nach Regionaljets in den kommenden Jahren überdurchschnittlich stark steigen. Nicht alle Flugzeughersteller sind auf diese Entwicklung vorbereitet.
- In den europäischen Richtlinien zum Emissionsrechtehandel (EU-ETS) wurden der Transport- und vor allem der Luftverkehrssektor bislang ausgeblendet. Angesichts der Wachstumsprognosen und der damit steigenden CO2-Emission wird eine Einbeziehung der Luftfahrtindustrie in das Handelssystem immer wahrscheinlicher und stellt somit den Sektor vor neue finanzielle und technische Herausforderungen.
Asien-Pazifik: Boomregion mit besonderen Spielregeln
Die Flugzeughersteller Airbus und Boeing sind davon überzeugt, dass die Passagierluftfahrt wieder auf ihren langfristigen Wachstumskurs mit jährlichen Steigerungsraten von vier bis fünf Prozent einpendelt. Damit würde sich das Flugverkehrsaufkommen bis 2023 mehr als verdoppeln und dann bei etwa neun Milliarden Passagierkilometern liegen. Überdurchschnittlich stark wird der Flugverkehr in der Region Asien-Pazifik zunehmen: Airbus schätzt, dass der Anteil dieser Region am weltweiten Passagieraufkommen von 25 Prozent im Jahr 2003 auf 31 Prozent im Jahr 2023 steigt. Damit würde Asien zum zweitgrößten Markt hinter Europa (geschätzter Marktanteil 2023: 32 Prozent) und vor Nordamerika (26 Prozent) aufsteigen.
Bei der Entwicklung ihrer neuesten Flugzeugserien haben sich Airbus und Boeing bereits auf die besonderen Anforderungen und das Marktpotenzial der Region Asien-Pazifik eingestellt. So ist es nicht überraschend, dass Airbus die ersten Exemplare vom Großraumjet A380 an Singapore Airlines ausliefert. Doch um auf Dauer in der Region erfolgreich zu sein, müssen die Flugzeuge nicht nur den technischen Anforderungen der häufig staatlich kontrollierten Fluggesellschaften genügen: Viele Regierungen erwarten, dass die Flugzeug- und Triebwerkshersteller als Gegenleistung für Aufträge vor Ort in Arbeitsplätze und Know-How investieren.
So lässt Boeing erstmals in der Geschichte des Unternehmens beim Modell 787 einen großen Teil des Flugzeugrumpfes von japanischen Zulieferern fertigen. Auch Airbus dürfte seine lokale Zulieferbasis nach einem Rekordauftrag über 150 Flugzeuge vom Typ A320 in China deutlich ausweiten. Embraer ist bereits einen Schritt weiter: Der brasilianische Spezialist für Regionalflugzeuge hat mehrere Joint Venture mit der chinesischen Flugzeugindustrie für Fertigung, Verkauf und Service der Modellfamilie ERJ 145 gegründet.
Low-Cost-Carrier und Leasinggesellschaften gewinnen an Bedeutung
Linienfluggesellschaften wie Lufthansa, British Airways oder American Airlines sind noch immer wichtige Kunden der Flugzeugindustrie, haben aber ihre dominante Stellung verloren. Eine Analyse der Auftragsbücher von Airbus und Boeing zeigt, dass Leasing-und Billigfluggesellschaften mittlerweile ebenso viele Flugzeuge bestellen wie die etablierten Airlines. Allerdings unterscheiden sich die Anforderungen der drei Kundengruppen erheblich von einander. Zwar wollen alle Kunden gleichermaßen sichere und wirtschaftliche Flugzeuge. Doch legen die traditionellen Fluggesellschaften größeren Wert auf individuelle Ausstattungsmerkmale und wollen entsprechend stärker in die Entwicklung eingebunden werden als Low-Cost-Carrier, die in erster Linie niedrige Betriebskosten und günstige Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Leasinggesellschaften hingegen benötigen Flugzeuge, die sich für möglichst viele unterschiedliche Strecken und unterschiedliche Betreiber eignen und einen hohen Wiederverkaufswert haben.
Small is beautiful: Regionaljets im Aufwind
Regionalflugzeuge verkaufen sich bislang vor allem auf dem US-Markt gut. Doch die zunehmende Deregulierung des Flugverkehrs wird auch in Europa neue Chancen für Regionalfluggesellschaften und Flugzeughersteller eröffnen. Der Triebwerksproduzent General Electric erwartet, dass 2015 rund die Hälfte der weltweiten Kapazität im Passagierluftverkehr auf Low-Cost-Carrier und Regionalflieger entfallen wird. Für die Marktführer Airbus und Boeing ist diese Entwicklung eine Herausforderung: So könnten einige Fluggesellschaften feststellen, dass Regionaljets von Embraer oder Bombardier mit 70 bis 110 Sitzplätzen für ihre Zwecke besser geeignet sind als die bislang eingesetzten Boeing 737 oder Airbus A320.
Umweltschutz kommt bislang zu kurz
Moderne Flugzeuge sind deutlich leiser und verbrauchen wesentlich weniger Kerosin als früher. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die durchschnittlichen Lärmemissionen um 70 Prozent und der Stickoxid-Ausstoß um 36 Prozent verringert. Beim Klimagas CO2 gibt es bislang jedoch kaum Fortschritte. Zwar war der Flugverkehr in der EU im Jahr 2002 für weniger als ein Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Doch während der CO2-Ausstoß in allen anderen Bereichen langfristig sinken dürfte, gilt dies allein wegen des wachsenden Verkehrsaufkommens nicht für den Flugverkehr. Forschungsinstitute schätzen daher, dass im Jahr 2050 zwischen 40 und 80 Prozent der CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf Flugzeugabgase zurück gehen - und diese Entwicklung dürfte von der Politik kaum zu ignorieren sein. Ab 2008 soll der Luftverkehr in der EU in das Handelssystem für Emissionsrechte eingebunden werden, um die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen. Die Fluggesellschaften zwingt dies dazu, entweder in neue, umweltschonende Flugzeuge zu investieren oder Emissionsrechte zu kaufen. Eine Abwälzung dieser Kosten auf die Kunden ist in beiden Fällen sehr fraglich.
Management vor neuen Herausforderungen
Flugzeughersteller arbeiten heute effizienter als früher, sind weniger anfällig für Nachfrageschwankungen und verfügen über schlankere Organisationsstrukturen. Doch steht das Management zweifellos vor neuen Herausforderungen: "Die Globalisierung der Weltwirtschaft, zu der die Luftverkehrsindustrie maßgeblich beigetragen hat, erfasst nunmehr die Branche selbst", so Albrecht. Produktion, Marketing und Service werden sich auf mehr Länder als früher verteilen. Dabei geht es nicht immer darum, den besten und kostengünstigsten Zulieferer zu finden, sondern häufig auch darum, spezifische Wünsche der Endkunden zu erfüllen. Gleichzeitig muss gewährleistet bleiben, dass die Produktionskette auch langfristig - das heißt über 25 Jahre und länger - hält. Für das Management ist dies ein Balanceakt, der durch einen weiteren Aspekt an Schwierigkeit gewinnt: Ohne Technologietransfer ist die Einbindung von Zulieferern nicht möglich - aber durch die Weitergabe des Know-Hows geben die etablierten Hersteller der Konkurrenz von morgen womöglich selbst Starthilfe.
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