Über Nacht testete Germanwings, wie ein Airbus auf unnötigen Ballast verzichten kann. Der hohe Ölpreis zwing Fluggesellschaften zum Kerosin-Sparen. Über einen Versuch, das Fluggewicht zu reduzieren.
Köln - - Wie das bei Diäten halt so ist. Am Anfang stehen der gute Wille und der feste Vorsatz, ein paar Pfunde abzunehmen. Doch hier geht es um Tonnen. Tonnen von Kerosin. Und vor dem Umsetzen des guten Vorsatzes steht wie ein viel zu dicker Mann auf einer viel zu kleinen Waage: der Airbus A 319 auf dem Vorfeld mit der Bezeichnung „Bravo 5“ des Köln-Bonner Flughafens. Das Passagierflugzeug, das leer bereits 40 Tonnen wiegt, soll 200 Kilogramm in zwei Stunden verlieren.
„Gewicht bedeutet Mehrverbrauch“, nennt Thomas Winkelmann, Chef von Germanwings, zu dessen Flotte der Airbus gehört, den Grund für die ungewöhnliche Entschlackungskur. „Und das bedeutet bei den hohen Kerosinpreisen derzeit für uns mit 29 Flugzeugen und 70000 Flügen und acht Millionen Passagieren im Jahr 42 Millionen Euro Mehrausgaben allein nur für Kraftstoff.“ Die Maschinen müssen leichter werden.
Kiloweise Illustrierte, literweise Tomatensaft, Gurtverlängerungen, Handstaubsauger? Ist das alles wirklich nötig? Wie viel wird davon pro Tag wirklich gebraucht? Sogar die „Kopfschoner“ an den Sitzen werden gewogen. „Eine einzige dieser Verkleidungen verbraucht durch ihr Gewicht auf das Jahr und die ganze Flotte hochgerechnet 13 000 Liter“, erläutert Chefpilot Michael Knitter.
Das persönliche Gewicht des Flugzeugführers von 80 Kilo steht zum Glück nicht auf dem Prüfstand. Ebenso wenig werden natürlich Feuerlöscher und Erste-Hilfe-Kästen angezweifelt, und dennoch werden sie gewogen: Vielleicht ist eine leichtere Box für das Material zu finden oder ein anderer Hersteller, der das gleiche Produkt mit weniger Gewicht anbietet? Jedes Gramm kostet – auch den Fluggast.
Es gibt zusätzliche Gebühren pro Gepäckstück. Der Kerosinzuschlag für die Kunden wurde bereits mehrfach angepasst. „Schon ein paar Mal“, erklärt Winkelmann, „aber so schnell, wie sich der Ölpreis erhöht, kommt man mit den Erhöhungen ja gar nicht hinterher“. Kerosin wird aus Öl gewonnen, alternative Kraftstoffe für Flugzeuge sind noch nicht endgültig entwickelt.
Es werde bereits langsamer geflogen, der Wassertank nur noch halb gefüllt, erklärt Knitter. „Da fliegen wir im Optimum. Mehr ist hier nicht zu sparen.“ Den Gürtel enger schnallen will die Fluggesellschaft also – und entfernt dazu in dieser Nacht exemplarisch an der eben aus Mailand gelandeten Maschine alle beweglichen Teile zwecks möglicher Gewichtsreduzierung.
Der Riese aus Titan, Stahl, Aluminium und Aluminium-Lithium – das 40 Prozent des Gesamtgewichts ausmacht – steht zum „Übernachten“, Reinigen, Warten, Wiederbeladen und Tanken in seinem Heimatflughafen. Acht Mal ist er an diesem Tag gestartet und gelandet. Voll besetzt und beladen 60 Tonnen schwer.
Die Inventur soll klären: Was ist noch drin, wenn so ein Tag rum ist? Was muss wirklich dauernd mit abheben? Was kann vielleicht am Boden bleiben? „Nur 200 Kilo Gewicht pro Flug weniger würden auf das Jahr gesehen für alle unsere Maschinen eine Ersparnis von 700 000 Euro bringen“, formuliert Winkelmann das Wunschgewicht.
Trolleys, Getränkevorräte, Illustrierte und Decken werden raus geschleppt und gewogen. Die beiden Aschenbecher im Cockpit, ohne die ein Airbus trotzt Rauchverbots nicht zu bestellen ist, sind bereits ausgebaut. Einer wiegt 230 Gramm. Die Ersparnis: 500 Liter Kerosin pro Jahr. Knitter: „Die Mulden benutzen wird jetzt als Stiftablage.“
Die Babywaage seiner Großtante, die Hebamme war, verwendet Flugbetriebsingenieur Peter Schoepe für die Teile bis fünf Kilo. Den Rest stemmt der 39-jährige Bonner mit seinem Kollegen von der Flugbetriebsassistenz Rüdiger-Ulrich Koch und einer Federwaage. Assistentin Katrin Költzsch, die die „Wiegeliste“ schreibt, staunt über einen 60-Kilo-Trolley mit Reservegetränken, die nicht gebraucht wur den: „Der wiegt ja mehr als ich.“
Ein Staubpinsel für die Armaturen im Cockpit schlägt mit zehn Gramm zu Buche – macht 21 Liter Kerosin pro Jahr –, ein Megaphon bringt 1,6 Kilo und 6700 Liter. Schwerwiegendstes Argument sind neben den viel zu großen Getränkevorräten die Illustrierten. 74,6 Kilogramm Lesestoff zu viel könnte, am Boden gelassen, 150 000 Liter jährlich sparen.
Germanwings überlegt nach dem großen Wiegen nun, seinen Catering-Prozess umzustellen. „Morgens weniger laden und notfalls zwischendurch nachladen“, wäre eine Möglichkeit, nicht zu viele Reste auf zu vielen Strecken mitzuschleppen, mein Winkelmann. Die Zeitungen könnten in Zukunft bereits am Gate im Flughafengebäude zur Mitnahme ausliegen statt ungelesen als Übergewicht um die Welt geflogen zu werden und am Abend wieder mit zurück gebracht zu werden. „Die 200-Kilo-Diät schaffen wird auf jeden Fall locker.“
Nur eins steht, neben der Sicherheit, nicht zur Disposition: Der Tomatensaft, der auf mysteriöse Weise selten am Boden, aber auf jedem Flug gewünscht wird, wie „Chef der Kabine“ Ralf Mertensotto bestätigt. „Der wird auch vom fliegenden Personal jedes Mal getrunken“, was er sich damit erklärt, dass sich beim Fliegen mit dem Druck auch die Geschmackswahrnehmung der Men schen verändere.
Aber das Gemüsekonzentrat muss nicht in schweren Glasflaschen mitgeführt werden. „Wir prüfen derzeit, auf PET-Flachen umzusteigen.“ Der rote Saft ist gesund und sättigend. Und das hält schließlich auch schlank.
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