Soldatenverband für Befehlsverweigerung
Über die Auslegung des Karlsruher Urteils zum Abschuss gekaperter Flugzeuge wird heftig gestritten. Die SPD begründet einen Abschuss mit notwendiger Landesverteidigung, Gegner rufen zur Befehlsverweigerung auf.
Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz sieht mögliche Terrorangriffe aus der Luft als Angriff, auf die wie bei der Landesverteidigung reagiert werden müsse. «Das Bundesverfassungsgericht hat ausschließlich über einen nichtkriegerischen Luftzwischenfall entschieden», sagte er der Zeitung «Die Welt». «Bei der Abwehr eines Terrorangriffs von außen, der sich mit polizeilichen Mitteln nicht abwehren lässt und der im Schadensausmaß einem herkömmlichen militärischen Angriff mit Soldaten gleichkommt, müssen die Regeln für die Landesverteidigung gelten.»
Sollte etwa ein Flugzeug im Ausland entführt und in Deutschland als Waffe benutzt werden, sei dies eindeutig Landesverteidigung. Auch der UN-Sicherheitsrat habe bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Recht der USA anerkannt, sich militärisch zu verteidigen, und die Nato habe den Bündnisfall festgestellt.
Wiefelspütz hält eine Grundgesetzänderung nicht unbedingt für erforderlich. «Für einen kriegerischen Luftzwischenfall gelten ausschließlich das Grundgesetz und das Völkerrecht, nicht das Luftsicherheitsgesetz. Die Karlsruher Richter haben den Einsatz der Bundeswehr zum Abschuss gekaperter Passagierjets, soweit unschuldige Menschen an Bord sind, zwar untersagt - aber eben nur bei einem nichtkriegerischen Zwischenfall.»
Zypries räumt Befehlsverweigerung ein
Bis zum 11. September 2001 habe jedes juristische Lehrbuch Verteidigung als die Abwehr von militärischen Angriffen eines souveränen Staates bezeichnet, so der Innenpolitiker. Seit dem Anschlag auf die USA gebe es wegen der neuen Terrorszenarien ein Umdenken. «Auch gravierende Terroranschläge von außen werden einem militärischen Angriff gleichgesetzt», sagte Wiefelspütz.
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) geht davon aus, dass es Situationen geben kann, in denen Piloten der Bundeswehr von den Grundsätzen des Urteils aus Gewissensgründen abweichen könnten.
Der Bundeswehrverband ist der Überzeugung, dass Piloten der Luftwaffe den Befehl verweigern müssten, ein nur mit Terroristen besetztes Flugzeug abzuschießen.
Soldaten dürfen verweigern
In einer konkreten Bedrohungssituation durch ein von Terroristen gekapertes Flugzeug könne es keine Sicherheit geben, dass wirklich nur Täter und keine Geiseln an Bord seien, sagte Verbandschef Bernhard Gertz der «Stuttgarter Zeitung». «Würde ein Abschussbefehl in einer solchen Situation erteilt, dürften die Piloten ihn nicht ausführen, weil Zweifel eben nicht ausgeschlossen werden können.»
Der Verbandsvorsitzende begründet seine Rechtsauffassung mit einem Hinweis auf den Paragrafen elf das Soldatengesetzes. Demnach dürfen Bundeswehrangehörige Befehle nicht befolgen, die die Menschenwürde verletzen oder in eine Straftat münden. Beides ist laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Fall, wenn beim Abschuss einer «Terror- Maschine» auch unschuldige Passagiere getötet würden.
Würden sie einem solchen Befehl folgen, setzten die Luftwaffen- Besatzungen sich erheblichen straf- und zivilrechtlichen Risiken aus, meinte Gertz. Der Bundeswehrverbands-Chef kann sich eine Neuregelung, die den Abschuss von Terror-Maschinen ohne Unbeteiligte an Bord erlaubt, überhaupt nur vorstellen, «wenn der Bund gegenüber den Soldaten eine Freistellungserklärung über die zivilrechtliche Haftung abgibt».
http://www.netzeitung.de/deutschland/383381.html