Hubschraubermuseum: Abenteuerliches Gerät des Erfinders Harald Saalbach rief die Stasi auf den Plan
Bückeburg (bus). Das neueste Exponat des Hubschraubermuseums ist ohne Zweifel eines der bemerkenswertesten in der Reihe der etwa 50 zur Schau gestellten Drehflügler. Auch in der Reihe der bislang 22 Unikate nimmt die jetzt vorgestellte Dauerleihgabe eine herausragende Stellung ein. Museumsmitarbeiter Wolfgang Gastorf stellte das Fluggerät aus der Gattung der Tragschrauber als "abenteuerliche Komposition eines genialen Erfinders" vor. Erfinder Harald Saalbach gab sich etwas bescheidener: "Ich wollte einfach nur mit einem selbstgebauten Gyrocopter fliegen", sagte der vielseitig begabte Hochleistungstüftler.
Unter Gyrocopter versteht die Fachwelt ein Drehflügelflugzeug, dessen Rotor nicht, wie allgemein üblich, durch ein Triebwerk, sondern durch den Fahrtwind in Drehung versetzt wird. Was durch eine entsprechende Anstellung der Rotorblätter per Autorotation erfolgt. Für den Vortrieb ist - wie bei Starrflügelflugzeugen - ein Propellertriebwerk verantwortlich. Tragschrauber sind interessant für Anwendungen, bei denen geringe Geschwindigkeit erwünscht, Senkrechtstart und -landung aber nicht notwendig sind.
Für Saalbach war der Flieger als solcher interessant. Seine Geschichte nimmt 1969 ihren Anfang, als dem heute 61-Jährigen zwei Fotos eines britischen Tragschraubers des Typs WA 116 begegnen. Der bis dahin als Segelflieger und Motorflugpilot aktive Kfz- und Kfz-Elektromeister war hellauf begeistert. Die WA 116 sollte lediglich 23 Meter Startstrecke benötigen und zwischen 18 bis 125 Stundenkilometer schnell sein. Im Anschluss an einen Besuch des Luftfahrtmuseums in Prag (wo ein Nachbau des Modells L 7 des amerikanischen Gyrocopter-Pioniers Dr. Igor Bensen steht) wechselte Saalbach von der Modellbastelei zur ernsthaften Umsetzung seiner Idee.
Was bereits diesseits des Eisernen Vorhangs einemäußerst diffizilen Unterfangen gleichgekommen wäre, entpuppte sich in der Heimat des Tüftlers als kaum kalkulierbarer Beschaffungsmarathon - Harald Saalbach lebte (und lebt) unweit von Leipzig in der früheren DDR. Da nimmt es nicht wunder, dass in der Teileliste seiner Konstruktion nahezu ausschließlich Dinge auftauchen, die Laien und Experten gleichermaßen eher dem Sperrmüll als einem flugfähigen Aeroplan zurechnen würden. Baugerüstrohr, Sperr- und zusammengeleimtes Schichtholz nehmen in dieser Hinsicht noch relativ nachvollziehbare Rollen ein. Hinsichtlich von Radnaben (Motorrad "Jawa", Moped "Simson SR 2"), Feststellbremse und Motor (beide aus dem Kleinwagen "Trabant 601") fehlen den Fachleuten unterdessen die Worte.
Als absoluter "Kracher" technischer Kompositionskunst kommt jedoch der Auspuff daher. Der Dämpfer fügt sich aus dem Gehäuse eines Feuerlöschers (als Entspannungskammer), einem Krümmer vom Motorrad "MZ-ES 250" und einem dem "Wartburg 353" entnommenen Endschalldämpfer zusammen. Mit der Fliegerei im weitesten Sinn können lediglich einige Instrumente in Verbindung gebracht werden, dieaus einem verschrotteten Segelflugzeug der Serie "Grunau-Baby" stammen.
Saalbach betonte während seines Besuchs in Bückeburg, dass der Gyrocopter in der ehemaligen DDR keineswegs zur Republikflucht dienen sollte. "Da wären mir sicher einfachere Möglichkeiten eingefallen." Nichtsdestotrotz rief das Geschehen in der Doppelgarage die Stasi auf den Plan. Bald boten die ausnehmend freundlich auftretenden Herren des Ministeriums für Staatssicherheit ihre "Unterstützung" an. Familienvater Saalbach stand mit einem Bein im Gefängnis. Was ihn allerdings nicht daran hinderte, die Schnüffler per flugs entwickelter Abhörtechnik seinerseits auszuspionieren.
Nachdem der Gyrocopter 1980 flugfähige Formen angenommen hatte, erließ die DDR ein Gesetz, das den Besitz, die Herstellung, den Vertrieb und die Benutzung von Fluggerät unter Strafe stellte. Saalbach schlug dem MfS ein Schnippchen und ließ seinen Tragschrauber in der Scheune eines guten Freundes verschwinden, wo er beinahe elfJahre lang bis zum Zusammenbruch des Arbeiter- und Bauernstaates verblieb. Im Anschluss an die Wende ist der mit Patentrechten auf unterschiedlichsten Forschungsfeldern ausgestattete Saalbach unter die Ultraleicht-Flieger gegangen. Fehlende Literatur, Materialmangel und Stasi-"Unterstützung" bereiten ihm heute keine Probleme mehr.
Nach der glücklichen Landung seines Eigenbaus an der dem Unikat zukommenden exponierten Südfensterfront des Hubschraubermuseums verblieben dennoch etliche Gesprächsthemen: "Eine Black-Box für Kraftfahrzeuge, eine Anti-Terror-Technik für Großraumjets, eine Schöpfung zur sichtweitenabhängigen Geschwindigkeitsbegrenzung, ein mit mehr als doppelter Saugkraft ausgestatteter Staubsauger, ein... ."
© Landes-Zeitung, 01.09.2006
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