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 Betreff des Beitrags: 9000 Geisterpassagiere an einem Tag
BeitragVerfasst: Donnerstag 31. Mai 2007, 10:22 
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Registriert: Freitag 10. Juni 2005, 12:57
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Erstmals hört der Landtags-Untersuchungsausschuss Zeugen, die das Ausmaß der Manipulationen zeigen



Die Vorwürfe gegen den Flughafen Erfurt sind enorm: Geschönte Passagierzahlen, erfundene Flugzeuge, erschlichene Fördergelder. Und seit gestern steht im Raum, dass sogar bei den Frachtzahlen gemauschelt wurde. „So ab 2004, 2005. Vorher war das nicht der Schwerpunkt.“



ERFURT – Der Mitarbeiter Ulrich R., von dem diese Aussage stammt, arbeitet seit 1995 am Thüringer Skandal-Airport. Er wurde gestern vom Untersuchungs-Ausschuss des Landtags befragt, der erstmals Zeugen hörte. R. überraschte die Ausschuss-Mitglieder mit der neuen Dimension der mutmaßlichen Fälschungen: „Auch bei der Frachtabfertigung wurden die Zahlen manipuliert“.



Die öffentliche Befragung dürfte der Landesregierung, die Eigentümer des Flughafens ist, wenig Freude gemacht haben. Die Sitzung nämlich offenbarte das Ausmaß der Manipulationen. Immer unwahrscheinlicher erscheint es jetzt, dass Aufsichtsrat und Gesellschafter nichts gewusst haben. Genau das soll der Ausschuss aufklären.



Die Säge ist weiter gefährlich nahe etwa am Stuhl von Verkehrs-Staatssekretär Roland Richwien (CDU), bis Sommer 2005 Chef des Aufsichtsrats. Ob Aufsichtsrat und Gesellschafter Kenntnis von den Manipulationen hatten, wird etwa der Zeuge Bernd Schmidt gefragt. Bis zu seinem fristlosen Rauswurf war er Prokurist des Flughafens. Seine Antwort: „Ich kann es nicht belegen, aber ich gehe davon aus.“ Schmidt begründete das mit den „engen Beziehungen“, die Flughafen-Geschäftsführer Gerd Ballentin zu den Mitgliedern des Aufsichtsrats gehabt haben soll. „Das ist auch in den persönlichen Bereich gegangen.“ Schon der erste Zeuge hat in diese Kerbe gehauen. Der frühere Verkehrsleiter Gisbert Schäfer nahm trotz eines Vergleichs, den er mit dem Flughafen nach seinem Rauswurf geschlossen hat, kein Blatt vor den Mund. Ab 1999/2000 habe ihn Ballentin zu den Manipulationen der Passagierzahlen aufgefordert. „Meine Schlussfolgerung ist: Eigentlich müssen Aufsichtsrat und Gesellschafter Bescheid gewusst haben.“ Ballentin habe sich bei seinen Aktivitäten immer rückversichert.



„Willfährige Werkzeuge“



Die vermutete Rückendeckung von oben und der enorme Druck des Geschäftsführers machten aus den Mitarbeitern willfährige Werkzeuge. So stellten es jedenfalls die fünf Zeugen dar, die gestern gehört wurden. „Es war ein sehr autoritäres Regimes des Herrn Ballentin. Widerworte hat er nicht geduldet. Das Klima war sehr angstvoll“, beschrieb der frühere Prokurist Schmidt. „Meine Kollegen wussten, wenn wir es nicht tun, werden wir arbeitslos“, begründete Schäfer sein Mitmachen und sein langes Schweigen.



Die Zeugen bestätigten, dass die Anweisung für die Manipulationen offenbar direkt auf den Anfang 2006 ebenfalls fristlos gekündigten Ballentin zurückging. „Schäfer, mach' was mit den Zahlen“, habe der später so tief gestürzte Geschäftsführer in Abteilungsleiter-Sitzungen verlangt. „Am Anfang war das eher verdeckt und heimlich“, erzählte Schmidt, „es wurde dann zunehmend öffentlich in den Sitzungen.“ Am Ende soll im Grunde jeder Beschäftigte am Flughafen Bescheid gewusst haben. Sogar Studenten, die als Praktikanten gerade verfügbar waren, mussten laut dem Zeugen Ulrich R. die Zahlen fälschen.



Und warum? Damals will das keiner der Zeugen gewusst haben. Heute freilich kennen sie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mühlhausen, die Ballentin wegen Betrugs und Untreue angeklagt hat. Den Strafermittlern zufolge ließ Ballentin die Passagierzahlen im Jahr 2000 um 35 000 auf über 500 000 fälschen, um die 2. Ausbaustufe des Flughafens beginnen zu können. Damit habe er Fördergelder in Höhe von fünf Millionen Euro erschlichen.



Doch nach dem Ausbau war nicht etwa Schluss mit den mutmaßlichen Fälschungen. Nun ging es offenbar erst richtig los. Die bisherigen Mauscheleien sollten nicht nur verschleiert, sondern auch der Einbruch bei den Fluggast-Zahlen verborgen werden. Hinter vorgehaltener Hand ist aus der Landtags-Opposition zu hören, dass jährlich bis zu mehr als 60 000 Passagiere in die Statistik getrickst worden seien. Jetzt ging es wohl ums Prestige des Geschäftsführers. Und damit des Thüringer Staatsflughafens, für den mehr als 200 Millionen Euro verbaut worden waren. Schaute deshalb kein Aufpasser genauer hin?



„Der Höhepunkt war im Jahr 2005“, sagte Zeuge Thomas L., Mitarbeiter der Verkehrsleitung am Flughafen. Im Gedächtnis geblieben ist ihm die Anweisung für einen Tag im Februar, die Statistik um sage und schreibe 9000 Passagiere aufzuhübschen. Im Februar, in Erfurt! Sogar das Statistische Bundesamt fragte verdutzt nach. Man habe sich mit Computer-Problemen heraus geredet, sagte Zeuge L.



Richwien soll als Zeuge gehört werden



Plötzlich seien ab Juni keine Anweisungen mehr gekommen, die Passagier-Statistik zu schönen oder gar komplette Flüge zu erfinden. Damals hatte Staatssekretär Richwien anonyme Post erhalten. Von der „angeordneten Verschönerung vieler Zahlen und Statistiken“ war darin die Rede. Bevor die Sache Wochen später zum öffentlichen Skandal wurde, bemühte sich offenbar irgendwer um Schadensbegrenzung. Richwien trat ohne Aufsehen als Aufsichtsratsvorsitzender zurück. Doch vorbei ist es noch nicht. Richwien soll bei der nächsten Ausschuss-Sitzung als Zeuge aussagen.



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