Mitarbeiter der Luftaufsicht wussten angeblich von der Passagierzahlen-Mauschelei am Flughafen Erfurt. Das geht aus einem jetzt aufgetauchten Protokoll hervor. Während das Verkehrsministerium die Behauptung dementiert, dringt die SPD auf Aufklärung.
ERFURT – „Ich hatte das Ohr am Flughafen“, verkündete Hans Nelles bei seiner Befragung durch den Untersuchungsausschuss des Landtags vor gut einem Monat. Der frühere Referatsleiter Luftverkehr wollte damit deutlich machen: Wenn selbst er von den mutmaßlichen Manipulationen der Passagierzahlen nichts erfahren hat, dann bestand dafür generell keine Chance. Demnach haben Aufsichts- und Landesbehörden auch nicht versagt.
Tatsächlich? Nach einem jetzt aufgetauchten Protokoll, das unserer Zeitung vorliegt, sieht das etwas anders aus. Das Protokoll entstand nach einer Befragung von Mitarbeitern des Flughafens am 18. Januar 2006 durch die Referatsleiterin Doris Schober aus dem Finanzministerium. Kurz nach dem Rausschmiss von Geschäftsführer Gerd Ballentin wollte das Land als Eigentümer des Flughafens endlich wissen, was an den Vorwürfen dran ist. Reichlich spät, hatte die Affäre doch schon im Sommer zuvor begonnen.
Der Gruppenleiter Verkehr gab bei der Befragung unter anderem zu Protokoll, dass „einzelne Mitarbeiter der Luftaufsicht von den Manipulationen gewusst haben“. Diese wunderten sich offenbar immer mal wieder über die Passagierzahlen. „Auf diese Fragen haben wir dann jeweils sinngemäß geantwortet: Ihr wisst doch, dass die Zahlen manipuliert sind.“
Die Luftaufsicht, und das macht die Brisanz des Fundes aus, ist Aufgabe von Landesbehörden. Das regeln Artikel 87d des Grundgesetzes und Paragraph 31 des Luftverkehrsgesetzes. In Thüringen war für die Luftaufsicht zunächst das Wirtschaftsministerium zuständig, jetzt ist es das Verkehrsministerium. Jeweils lange Zeit Referatsleiter: Hans Nelles. Jeweils sein Chef und zudem viele Jahre Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens: Staatssekretär Roland Richwien (CDU).
Die Mitarbeiter der Luftaufsicht waren, so heißt es, Nelles fachlich unterstellt. Ihr Gehalt wurde zu einem Drittel vom Land getragen. Wenn es Dinge zu regeln gab, habe der Referatsleiter stets bei seinen Leuten angerufen. Dass die Luftaufsicht womöglich von Mauscheleien wusste, belegt auch ein interner Aktenvermerk von Nelles am 8. September 2005, der Richwien zugestellt wurde und hektische Betriebsamkeit auslöste. Ausgerechnet ein ehemaliger Mitarbeiter der Luftaufsicht hatte in zwei Telefonaten mit Nelles mitgeteilt, dass die Manipulation „ein größeres Ausmaß“ habe und schon Jahre andauere.
Diese Aussage erhärtet ein weiteres Detail: Das Land verfügte über Informationen aus einer nicht anonymen Quelle nicht erst seit der Selbstanzeige des Flughafen-Verkehrsleiters Anfang Januar 2006. Diese „neue Qualität“, wie es Finanz-Referatsleiterin Schober bei ihrer Vernehmung im Untersuchungsausschuss nannte, war schon vier Monate früher erreicht. Ballentin aber durfte weiter die Geschäfte führen. Er nutzte die Zeit, um unter anderem die Verbrennung von Akten in Auftrag zu geben. Verdunklungsgefahr war einer der Gründe, warum ihn die Staatsanwaltschaft im Januar 2006 vorübergehend in Haft nahm.
Was folgt aus den neuen Erkenntnissen? Für das Verkehrsministerium zunächst nichts, wie es auf Anfrage unserer Zeitung erklärt: „Das Verkehrsministerium sieht keinen Handlungsbedarf.“ Sprecher Dietmar Müller sagt weiter: „Die Behauptungen von Zeugen, dass Mitarbeiter der Luftaufsicht am Flughafen Erfurt von den Fälschungen wussten, haben sich nicht bestätigt.“
Die Opposition hält das freilich nicht ab, nachzubohren. Die SPD kündigt an, im Ausschuss einen neuen Beweisantrag zu stellen und weitere Zeugen zu hören. Drei Fragen möchte Ausschuss-Mitglied Dagmar Becker (SPD) dabei klären: Was wusste die Luftaufsicht über Manipulationen, was hat sie unternommen und in wie weit müssen sich Verantwortliche des Landes dieses Wissen zurechnen lassen?
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