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BeitragVerfasst: Dienstag 20. Juni 2006, 11:29 
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Brasiliens Airline Varig im riskanten Sinkflug

Portugals TAP als möglicher Retter in der Not



Lateinamerikas grösste Fluggesellschaft Varig steht kurz vor dem Aus. Zwar hat die Airline seit einer Woche einen neuen Eigentümer, doch dessen Finanzkraft ist fragwürdig. Konkursrichter und mögliche Investoren arbeiten fieberhaft an einer Rettung in letzter Sekunde. Die portugiesische TAP könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen.



Die brasilianische Fluggesellschaft Varig steht kurz vor dem Aus. Die bei der Versteigerung vor gut einer Woche als Sieger hervorgegangene Investorengruppe unter der Führung der Mitarbeiter hat bisher Zweifel an ihrer Finanzkraft nicht ausräumen können. Der zuständige Konkursrichter zögert daher, der Gruppe den Zuschlag zu erteilen. Fieberhaft arbeiten in diesen Tagen das Varig-Management, der Konkursrichter und mögliche Investoren an einer neuen Lösung. Eine erneute Auktion wird nicht mehr ausgeschlossen. Als Retter in der Not könnte sich die staatliche portugiesische Airline TAP erweisen. TAP-Präsident Fernando Pinto weilt seit Tagen in Rio de Janeiro, wo das Konkursverfahren juristisch angesiedelt ist. Pinto, der als Ex- Präsident von Varig die Airline in- und auswendig kennt, hat Verhandlungen bestätigt.



Mögliche Rettung in letzter Sekunde

Die Rettung käme in letzter Sekunde. Das Unternehmen kämpft bereits mit schweren Liquiditätsproblemen. Laut Medienberichten verlangt die staatliche Flughafengesellschaft Infraero ab sofort die Bezahlung der Start- und Landegebühren in bar; der staatliche Kerosinlieferant BR Distribuidora sei nur noch wenige Tage bereit, die Varig-Flotte auf Kredit zu betanken. Gegenüber beiden Unternehmen hat Varig Schulden in Millionenhöhe. In den letzten Tagen sind bereits über hundert Flüge gestrichen worden. Die Flugaufsichtsbehörde Anac erklärte, dass sie aufgrund von Sicherheitsbedenken einige Flüge untersagt habe. Varigs Präsident, Marcelo Bottini, hat die Spekulationen um eine sich verschlechternde Liquiditäts- und Sicherheitslage energisch zurückgewiesen.



Die Lage Varigs mag letztlich etwas weniger dramatisch sein, als es derzeit aussieht; Brasilianer sind bekannt dafür, in letzter Sekunde einen «Jeito» zu finden, also einen Ausweg auf Umwegen. Doch die derzeitigen Wirren führen auch jenen den Ernst der Lage vor Augen, die bisher partout nicht an ein Ende der blauweissen Fluggesellschaft haben glauben wollen. Jahrelanger Protektionismus durch den Staat und die Blockade der dringend notwendigen Restrukturierungen durch die Mitarbeiter (die die Mehrheit am Unternehmen halten) haben aus der einst stolzen Airline einen Sanierungsfall gemacht. Im Lauf der Jahre haben sich Schulden in Höhe von 8 Mrd. Rl. (rund 3,6 Mrd. US-$) angehäuft. Die innovativen neuen Konkurrenten Tam und Gol jagen Varig zudem Marktanteile ab. Im Binnenmarkt ist Varigs Marktanteil in den gut drei Jahren bis Mai von 36% auf 14% gefallen, im internationalen Geschäft von 89% auf 67%.



Uneinsichtige Belegschaft

Die Sanierungsversuche in den letzten Jahren sind vor allem am Widerstand der Mitarbeiter gescheitert. Generell hatten die meisten Beteiligten wohl insgeheim auf einen Ausweg mit Hilfe von staatlichen Subventionen gehofft. Die seit Anfang 2003 amtierende Mitte-Links-Regierung hat eine staatliche Rettungsaktion allerdings kategorisch ausgeschlossen. Das «Nein» wird in diesen Tagen und Wochen wohl auf eine starke Probe gestellt werden: Präsident Lula da Silva wird sich voraussichtlich im Oktober zur Wiederwahl stellen, und der allfällige Verlust von rund 11 000 Varig-Arbeitsplätzen und eines nationalen Symbols wäre ein schlechter Start in den Wahlkampf. Die Airline ist für viele Brasilianer nicht zuletzt das Symbol des Aufstiegs der einstigen Zuckerrohr-Kolonie zu einem industrialisierten Schwellenland im letzten Jahrhundert. «Für meine Generation war Fliegen eine grosse Faszination. Ich erinnere mich gut an den Charme und den Glanz der Varig und an die Schönheit der Constellation-Flugzeuge», schwärmte jüngst der 76-jährige José Sarney, Senator und Ex-Präsident, in einem nostalgischen Beitrag («Der Todeskampf der Varig») in der Zeitung «Folha de São Paulo».



Varig war erst vor einem Jahr unter Gläubigerschutz gestellt worden. Der Schritt war notwendig geworden, da die amerikanischen Leasinggesellschaften aufgrund von Zahlungsverzögerungen seitens Varigs mit der Beschlagnahme von Maschinen gedroht hatten. In den folgenden Monaten waren immer wieder potenzielle Investoren aufgetaucht. Darunter befanden sich die portugiesische TAP und die beiden brasilianischen Unternehmer Nelson Tanure (Medien) und Germán Efromovich (Ocean Air). Unter anderem wegen der unkooperativen Haltung der Mitarbeiter zogen sich die meisten Interessenten schnell wieder zurück. Um dem nahezu illiquiden Carrier wieder etwas Geld zukommen zu lassen, wurden schliesslich die Logistik- und die Wartungsgesellschaften der Varig (VarigLog und VEM) für 62 Mio. $ an ein Konsortium aus TAP und dem Macao-Chinesen Stanley Ho verkauft; VarigLog wurde dann an Volo, hinter der die US- Beteiligungsgesellschaft MatlinPatterson steht, weiterverkauft.



Missglückte Versteigerung

Doch die neuen Millionen waren schnell wieder aufgebraucht. Vor dem Hintergrund eines drohenden Liquiditätsengpasses hatte schliesslich vor zwei Wochen der Konkursrichter die Versteigerung der operativen Fluggesellschaft angeordnet; die Schulden sollen dabei in eine separate Gesellschaft ausgegliedert werden. Als einziger Bieter erhielt Nova Varig Participações den Zuschlag, ein von den Mitarbeitern angeführtes Konsortium, dem noch drei weitere bisher unbekannte, ausländische Investoren angehören.



Rund 1,01 Mrd. Rl. hatten sie für Varig geboten, davon 285 Mio. Rl. in bar und 225 Mio. Rl. durch Umwandlung von Forderungen der Mitarbeiter an Varig; 500 Mio. Rl. sollen durch eine Bond-Emission zu einem späteren Zeitpunkt eingenommen werden. Zudem erklärte sich Nova Varig Participações bereit, 75 Mio. $ als sofortige Liquiditätsspritze beizusteuern. Der zuständige Konkursrichter ist allerdings von der Zahlungskraft des Konsortiums nicht überzeugt und hat bis heute den Verkauf noch nicht genehmigt. Das Konsortium hat in den letzten Tagen daher verzweifelt versucht, weitere Investoren an Bord zu holen. Darunter soll laut Medienberichten ein internationales Investorentrio sein, hinter dem das brasilianische Logistikunternehmen Syn da Amazônia, die portugiesischstämmige Fontidec Brasil Investimentos und der amerikanische Private-Equity-Riese Carlyle stehen sollen.



Doch diese Lösung wird immer unwahrscheinlicher. Der Konkursrichter hat denn auch eine neue Auktion nicht ausgeschlossen. Als deren Sieger und damit als Retter in der Not könnte sich schliesslich TAP erweisen. Die Portugiesen sollen sich laut Medienberichten zu diesem Zweck mit der kanadischen Air Canada und dem kanadischen Fonds Brascan/Brookfield zusammengetan haben. Die nationale Flugaufsichtsbehörde rechnet allerdings mit dem Schlimmsten und hat bereits einen Notfallplan für den Konkurs von Varig aufgestellt. Dieser könnte die brasilianische Volksseele an empfindlicher Stelle treffen: beim Fussball. Schliesslich haben Tausende bereits die Eintrittskarten für das Endspiel der Fussball- Weltmeisterschaft in Deutschland gekauft - und ein Flugticket dahin von Varig.



http://www.nzz.ch/2006/06/19/wi/articleE82A7.html

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