"Man hätte den Flughafen längst schließen können"
Schönefeld ist in der Lage, einen Großteil der Flüge von Tegel zu übernehmen, sagt Johannes Hauenstein. Das sei aber politisch nicht gewollt
taz: Herr Hauenstein, seit 17 Jahren machen Sie Lobbyarbeit für die Einschränkung des Flugverkehrs von Tegel aus. Stehen Sie nicht mit dem Rücken zur Wand?
Johannes Hauenstein: Das sehe ich nicht so. Der Flugverkehr hat zwar deutlich zugenommen. Seit der Wiedervereinigung hat er sich verdoppelt und steigt weiter. Im Durchschnitt gibt es 450 Starts und Landungen. An Spitzentagen über 500. Ich gehe allerdings davon aus, dass wir unser strategisches Ziel - die Schließung des Flughafens Tegel - in absehbarer Zeit erreichen werden.
Wie wirkt sich der Flugverkehr aus?
Im Nahbereich des Flughafens ist jede Flugbewegung so laut, dass man das Gespräch unterbrechen muss. Ein weiteres Problem liegt in der Kerosinversorgung: Es werden jeden Tag um die eine Million Liter auf dem Flughafen vertankt. Die werden über die Straßen von Pankow, Reinickendorf, Tegel mitten durch die Wohngebiete gefahren. Sie können sich vorstellen, was das für ein Katastrophenpotenzial ist. Das Kerosin wird nicht nur unten reingetankt, sondern oben wieder rausgeflogen. Bei einem Unglück können mehrere tausend Leute betroffen sein. Im Einzugsgebiet vom Flughafen Tegel leben nahezu 400.000 Menschen.
Welche psychischen und physischen Folgen hat der Fluglärm?
Er schränkt die Konzentrationsfähigkeit ein, das Herzinfarktrisiko ist erhöht. Aber der Nachweis, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Lärmbelastung und den gesundheitlichen Folgen, ist schwierig.
Lärm sei subjektiv, arme Leute seien weniger lärmempfindlich, wird argumentiert. Ist das ein Grund, warum sich die Sozialstruktur in der Einflugschneise verschlechtert hat?
Das ist einer von mehreren Gründen. Fluglärm ist ein Wohlstandsproblem. Wenn jemand um sein tägliches Überleben kämpfen muss, tritt dieser Lärm sicher in den Hintergrund.
Politiker verpflichten sich, Schaden vom Menschen abzuwenden. Glauben Sie noch daran?
In Bezug auf den Flughafen Tegel versagt die Politik eindeutig. Wenn man die Flughafenplanung vernünftig gestaltet hätte - unter Einbeziehung aller Fürs und Widers - hätte man den Flughafen längst schließen können. Die Auseinandersetzung darüber geht ja jetzt schon mehr als 15 Jahre. Man hätte in der Zeit zumindest die weitere Ausweitung des Flugverkehrs verhindern können, indem man dem Flughafen Tegel Betriebsbeschränkungen auferlegt. Das Gegenteil ist der Fall.
Berlin braucht diesen Flughafen, wird häufig argumentiert.
Berlin hat drei Flughäfen. Schönefeld wäre schon längst in der Lage, einen erheblichen Teil von Tegel zu übernehmen. So eine Verkehrsverteilung könnte man umsetzen, aber sie ist politisch nicht gewollt. Man nimmt in Kauf, dass 400.000 Leute dem Dreck, dem Lärm und dem Gefahrenpotenzial ausgesetzt sind. Und man verschenkt damit die Möglichkeit einer positiven Stadtentwicklung auf 70 Quadratkilometern.
Was müsste aus Ihrer Sicht als Erstes getan werden?
Wie gesagt: sofortige Flugbeschränkungen. Wenn man beispielsweise nur noch kleinere Strecken zulassen würde, hätte man kleinere Tankinhalte. Wenn eine solche Maschine abstürzt, wäre das Gefahrenpotenzial verringert. Manche Langstreckenflüge haben hingegen 90.000 Liter in den Tanks. Stellen Sie sich vor, was das bedeutet, wenn so eine Maschine abstürzt oder - seit dem 11. September muss man das auch in Betracht ziehen - zum Absturz gebracht wird.
Kann man dann davon ausgehen, dass Tegel jemals geschlossen wird - wenn man sieht, wie sich die Verantwortlichen zieren, Tempelhof zu schließen?
Will man Tegel nicht schließen, wird man Schönefeld nicht bauen können. Dann nämlich kann man nicht vor dem Bundesverwaltungsgericht den Bedarf für Schönefeld nachweisen und keine positive Umweltbilanz vorlegen. Auch den Aspekt der Stadtentwicklung kann man dann nicht als Argument anführen.
Sie wohnen selbst in der Einflugschneise. Bauen Sie in Ihrem Garten Gemüse an?
Es wachsen schon noch Pflaumen und Äpfel.
INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB
http://www.taz.de/pt/2005/09/06/a0193.nf/text