Der Baumeister des Flughafens Tempelhof
Auf manch aktuellem Stadtplan firmiert der Flughafen Tempelhof schon als "geschlossen" - dabei werden bis auf weiteres jährlich mehr als 400 000 Passagiere in dem riesigen Gebäudekomplex abgefertigt. Trotzdem wirkt das gewaltige Abfertigungsgebäude zu beinahe jeder Tageszeit verloren und leer. Es liegt gewissermaßen im Wachkoma. Immerhin zählte der Flughafen in den frühen siebziger Jahren jährlich rund 15 Mal so viele Menschen: Fast sechs Millionen Besucher kamen auf dem damals weltgrößten innerstädtischen Airport an.
Der Flughafen, dessen Bau noch zu Friedenszeiten 1936 begann und im Kriegsjahr 1940 im wesentlichen beendet wurde, gilt gemeinhin als Muster für nationalsozialistische Architektur. Doch Experten sahen das schon immer etwas differenzierter. Jetzt hat die Bauhistorikerin Elke Dittrich zwei Bücher vorgelegt, in denen sie dem Flughafen und seinem Architekten nachspürt. Morgen Abend um 19.30 Uhr stellt Frank Böttcher, Chef des kleinen, sehr engagierten Lukas-Verlages, beide Bände an angemessenem Ort vor: im ehemaligen Restaurant in der großen Abfertigungshalle des Flughafens.
Zu den Brüchen in der Geschichte von Tempelhof gehört, daß Sagebiels Abfertigungsgebäude zwar 1940 im wesentlichen stand, aber erst nach dem Krieg in Betrieb genommen wurde - bis dahin wurden Passagiere des Berliner Zentralflughafens noch in dem alten, 1926 eingeweihten und bereits 1933 viel zu kleinen Terminal abgefertigt. Ein anderer, noch spannenderer Bruch ist, daß Sagebiel zwar von Hermann Göring den offiziellen Auftrag hatte, Europas größtes Luftdrehkreuz zu entwerfen, daß aber Hitlers "Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt" Albert Speer Sagebiels Bau nicht wollte und vorhatte, Tempelhof wieder zu schließen. Statt dessen sollte ab 1950 ein neuer, noch gewaltigerer Flughafen weit im Süden der Stadt errichtet werden und das Tempelhofer (Flug-) Feld zum innerstädtischen Freizeitpark umgestaltet werden.
Trotzdem ist Sagebiels Bau einer der wichtigsten erhaltenen Bauten der NS-Zeit - neben dem ebenfalls von ihm geplanten Reichsluftfahrtministerium an der Wilhelmstraße (heute Finanzministerium) und den Bürogebäuden rund um den Fehrbelliner Platz. Dittrich zeigt in ihrem gewichtigen Werkkatalog das Gesamtwirken dieses modern denkenden Baumeisters, der Karriere im neugegründeten Nazi-Reichsluftfahrtministerium macht, dabei reich wird, aber seit Speers Aufstieg ins Abseits gerät. Nach dem Krieg gehörte Sagebiel zu den Architekten, die den Wiederaufbau unspektakulär mitgestalteten.
Daher bleibt sein wesentliches Werk der Flughafen Tempelhof. Die Grundkonzeption des gleich einem Kleiderbügel geformten, 1200 Meter langen Gebäudes folgte einem gut durchdachten Ansatz: Die verschiedenen Verkehrsströme - ankommende und abfliegende Passagiere, ihr Gepäck, Luftfracht und Postsendungen - mußten koordiniert werden. Sagebiel löste das Problem durch die Verlagerung auf verschiedene Ebenen.
In einem bestimmten Sinne ist der Flughafen sogar typisch für das NS-Regime: Nach außen hin dominieren Muschelkalk und der übliche "Bauschmuck" der NS-Architektur. Zur Flugfeldseite hin dagegen folgte Sagebiel modernsten Bautechniken. Gerade diese Doppelgesichtigkeit, das Nebeneinander von technisch neuesten Methoden und archaischen Verzierungen, macht die NS-Architektur aus. Elke Dittrich zeigt das in ihren lesenswerten Büchern beispielhaft.
Elke Dittrich: Ernst Sagebiel. Leben und Werk 1892 bis 1970. 328 S., 48 Euro.
Elke Dittrich: Der Flughafen Tempelhof in Entwurfszeichnungen und Modellen 1935-1944. 35 S., 7 Euro (beide Lukas-Verlag Berlin)
http://morgenpost.berlin1.de/content/20 ... 59658.html