Studie: Mehr als die Hälfte aller europäischen Airports bald im Abseits
Experten warnen vor Flughafen-Ruinen
Mehr als die Hälfte aller Flughäfen in Europa ist nicht auf den radikalen Wandel der Luftfahrt vorbereitet. Insbesondere in Deutschland drohen einige Standorte den Anschluss zu verlieren und damit langfristig Marktanteile im Luftverkehr abzugeben. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
HB FRANKFURT. „Am künftigen Wachstum der Luftfahrt nehmen nur noch wenige Flughäfen nennenswert teil. Der Rest steht erst am Anfang einer tiefgreifenden Restrukturierung“, sagte Studien-Autor Jürgen Ringbeck dem Handelsblatt. Angesichts des Passagieransturms auf Billigflieger hätten auch etablierte Fluglinien wie Lufthansa oder British Airways ihre Kosten erheblich gesenkt. Viele Airports indes seien bisher „weitgehend untätig gewesen“, heißt es kritisch in der Studie. Erst allmählich lösen sich viele aus ihren öffentlichen Eigentümerstrukturen und versuchen, damit auch konkurrenzfähige Kostenstrukturen durchzusetzen. Ihre Haupteinnahmequelle, Start- und Landegebühren, steht bereits deutlich unter Druck. Die meisten der 140 größeren Flughäfen in Europa müssten deshalb „massiv ihre Effizienz erhöhen“ und außerhalb des Fluggeschäfts Erlösquellen suchen, sagte Ringbeck.
Der absehbare Ausleseprozess unter den Flughäfen wird zwischen Hamburg und München mehr Verlierer bringen als anderswo. Denn mit 77 Standorten, die über eine Start- und Landebahn von mehr als 2 400 Meter verfügen, hat Deutschland die dichteste Flughafenstruktur Europas. „Das Problem ist, dass Deutschland nie einen bundesweiten Ansatz bei der Flughafenplanung verfolgt hat“, sagt Hamburgs Flughafenchef Michael Eggenschwiler. Infrastrukturmaßnahmen für Flughäfen sind in Deutschland Ländersache.
Das führt zu bundesweit höchst umstrittenen Ausbauten wie aktuell in Kassel-Calden. Für die Erweiterung des nordhessischen Flughafens sind Investitionen von 151 Mill. Euro vorgesehen; davon will das Land Hessen 108 Mill. Euro selbst übernehmen. Der Airline-Branchenverband Barig, der in Deutschland 110 Fluggesellschaften vertritt, beklagt eine „Verschwendung von Steuergeldern“, weil sich das Einzugsgebiet mit dem vorhandener Flughäfen überlappe. Für Airlines sei die Attraktivität des nordhessischen Flughafens „gleich null“, heißt es in einem Barig-Schreiben. „Diese dezentrale Flughafenpolitik ist unsinnig und eklatant wettbewerbsverzerrend“, wettert auch Eurowings-Vorstandschef Friedrich-Wilhelm Weitholz. Er verweist auf den „Wildwuchs“ in Nordrhein-Westfalen und auf regional subventionierte Standorte wie Dortmund oder Weeze/Laarbruch: Dort werden Billigfliegern Sonderkonditionen eingeräumt, die zu Verlusten im Flughafenbetrieb führen. „Verpackt wird das Ganze unter dem Deckmantel der regionalen Strukturförderung“, schimpft die Lufthansa in ihrem jüngsten Politikbrief.
Den Ausbau immer neuer Provinzpisten halten auch neutrale Branchenbeobachter für sinnlos: Gemessen an den Kosten pro Arbeitsplatz, seien derlei Subventionen „schlimmer als im Kohlebergbau“, sagt Daniel Stelter von Boston Consulting. Er hält stattdessen den Ausbau des Lufthansa-Drehkreuzes Frankfurt für entscheidend, um im Wettbewerb mit größeren Gegnern wie London-Heathrow und Paris nicht noch weiter zurückzufallen. Auch Booz Allen unterstützt eine zentral gelenkte Flughafenpolitik: „Der Subventionswettlauf deutscher Kommunen macht volkswirtschaftlich keinen Sinn. Das System trägt sich nicht“, sagt Berater Ringbeck. Die Gelder, die man in neue Ausbauten stecke, könnten teilweise gesellschaftlich besser eingesetzt werden.
Zu den wenigen künftigen Gewinnern zählt Booz Allen Hamilton im Segment der großen Flughafenbetreiber London-Heathrow, Frankfurt oder München, die ihre Prozesse durch Restrukturierung bereits deutlich optimiert hätten. Lobend erwähnen die Berater auch das Konzept des Flughafens Kopenhagen sowie die strategische Neuorientierung an den Standorten Köln/Bonn und Wien. Auf viele Airports aber sieht Booz Allen Hamilton schwere Zeiten zukommen: „Das Risiko besteht darin, erhebliche unausgelastete Kapazitäten im Flughafenbereich zu schaffen.“
Die Flughafen-Typen
Die Klassiker: Drehkreuze (Hubs) wie Frankfurt oder Paris spezialisieren sich auf klassische Netz-Airlines. Auch Flughäfen, die über ein großes und attraktives Einzugsgebiet verfügen, konzentrieren sich weiter auf Lufthansa, Air France & Co.
Die Angreifer: Flughäfen wie Stansted (England) oder Hahn (Hunsrück) sind auf Billigflieger spezialisiert. Sie müssen sinkende Airportgebühren mit Erlösen aus dem Nebengeschäft (Einzelhandel, Parken) ausgleichen.
Die Bedrohten: Flughäfen ohne klare Spezialisierung laufen Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Locken sie Billigflieger über günstige Gebühren, fordern auch die Netz-Airlines Gebührensenkungen. Das verstärkt den Druck, die Effizienz des Flugbetriebs zu erhöhen.
Handelsblatt vom 31.05.2005
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