"Das Leben wird unerträglich"
Streit um dritte Startbahn: Bürgerinitiativen contra Münchner Flughafen
Attaching/Berglern - Erneut brummt es aus Richtung Westen. Vor zwei Minuten erst war ein Lufthansa-Jet eingeschwebt. "Jetzt kommt ein Propeller-Flugzeug", sagt Michael Buchberger. Der 32-Jährige erkennt die Flieger inzwischen auf einige hundert Meter Entfernung: "Man muss sich ja mit seinem Gegner auseinandersetzen."
Die zwei Motoren röhren rund 80 Meter über Buchbergers Kopf hinweg. Während sie auf dem Weg zur Landebahn sind, ist schon der nächste Flieger im Anflug: ein großer zweistrahliger Jet Marke Airbus - das bedeutet: Es wird laut. Franz Spitzenberger schüttelt den Kopf. "Das ist das Ende."
Buchberger und Spitzenberger, beide von der "Bürgerinitiative Attaching gegen die dritte Startbahn", haben sich für ihre Demonstration einen eindrucksvollen Punkt ausgesucht. Wenige Meter entfernt vom Zaun des Münchner Flughafens, am Westende der nördlichen Start- und Landebahn, lässt sich - gut hörbar - nachvollziehen, was den beiden Bürgern aus Attaching (Kreis Freising) in wenigen Jahren blühen könnte. Im Zwei-Minuten-Takt dröhnen die Jets über dem Wald heran. Wenn sie die Köpfe der beiden Attachinger überfliegen, ist ein Gespräch nicht mehr möglich. Einige Sekunden später, die Flugzeuge sind kurz vor dem Aufsetzen, durchzieht noch ein Pfeifton die Luft, und die Bäume schütteln sich im Flugwind.
Attaching, südlicher Ortsteil von Freising, stöhnt heute schon. Als der Franz-Josef-Strauß-Flughafen 1992 seinen Betrieb aufnahm, lag der 1100-Einwohner-Ort plötzlich mitten in einem Luftverkehrszentrum. Einigen Anwohnern hat der Airport damals Schallschutzfenster finanziert, anderen nicht. Ziemlich willkürlich sei das vor sich gegangen, erzählt Spitzenberger. "Dennoch haben wir uns mit dem Flughafen arrangiert" - obwohl auch im Wohnzimmer der Spitzenbergers der Fluglärm nicht zu überhören ist.
Wenn die derzeitigen Planungen zur dritten Startbahn Bestand haben, wird sich die Situation für Attaching radikal ändern. Die vom Flughafen favorisierte Bahnvariante liegt knapp 1200 Meter nördlich der jetzigen Nordbahn. Sie ist rund zwei Kilometer nach Osten versetzt, um Attaching nicht vollständig platt zu machen. Laut den Planungen beginnt unmittelbar am Westende der Bahn die Gemeindeflur. Der Zaun des Flughafen-Geländes liegt demnach schon darauf, eine Notunterkunft für Obdachlose müsste sogar verschwinden. Attaching wird zum Vorgarten der neuen Startbahn.
Sollten in einigen Jahren die Düsenflugzeuge rund hundert Meter über den Dächern einfliegen, kann dort niemand mehr leben, glaubt Spitzenberger. Wegziehen wollen der 53-Jährige und seine Frau Katharina, die seit Jahrzehnten in der Ortschaft daheim sind, aber nicht. Sie können auch nicht: Ende der 90er-Jahre haben sie sich ein neues Haus gebaut. Nach langen Überlegungen überzeugten sie damals die Argumente der Flughafen-Planer: Eine dritte Startbahn sei nicht nötig, hieß es.
Heute sieht alles anders aus. Doch das Haus steht und muss abbezahlt werden. Zur Finanzierung haben Spitzenbergers die Wohnungen in ihrem alten Heim gleich nebenan vermietet. Aber welcher Mieter bleibt, wenn die Flugzeuge kommen? Die Perspektiven für den Ort sind bedrückend.
Einflugschneise über Schule und Kindergarten
"Einige werden wegziehen", prognostiziert Spitzenberger. "Der Rest wird langsam krepieren, in 20 Jahren ist das Thema erledigt." Aber so weit will er es nicht kommen lassen. Ziel der Bürgerinitiative: keine dritte Startbahn. Das ist auch der Tenor aller Initiativen, die nach und nach in den meisten Anwohnergemeinden entstanden sind, etwa in Berglern (Kreis Erding). Während Attaching im Westen der geplanten Piste liegt, befindet sich Berglern gegenüber, im Osten. Die Einflugschneise läge hier direkt über Kirche, Schule und Kindergarten. Anfang der 90er-Jahre zählte der Ort noch 1200 Einwohner, inzwischen hat sich diese Zahl verdoppelt.
Martin Eibl von der Bürgerinitiative sucht die Schuldigen nicht "da hinten", wie er sagt, wenn er den Flughafen meint. "Das ist eine rein politische Entscheidung": ein Prestigeprojekt der CSU. Auch an die Geschichte von der "Job-Maschine Flughafen" glaubt er nicht mehr: Großteils entstünden Mini-Jobs. Die Arbeitslosenquote in der Region sei schon vor den "Flughafen-Zeiten" niedrig gewesen.
Der Protest formiert sich. Zwar kämpfen in Berglern bisher nur wenige Startbahngegner, in Attaching jedoch konnte Spitzenberger schon rund 200 Menschen mobilisieren. Seine Initiative ist längst als Verein organisiert. Was zählt ist der Zusammenhalt, glaubt Eibl. Er ist zuversichtlich, dass die Bürger zusammen die Startbahn verhindern können: "Es wird sich herausstellen, dass kein Bedarf da ist."
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