TERRORWAHN AM FLUGHAFEN
Der Sicherheitsbeamte auf dem Flughafen Los Angeles traute seinen Augen nicht: Beim Screening des Handgepäcks sah er auf seinem Monitor ein Baby. Eine Frau hatte ihr Enkelkind in einer Plastikschale in die Röntgenröhre geschoben.
Hamburg - Wie gefährlich ist übertriebenes Sicherheitsdenken? Nach dem 11. September 2001 wurden weltweit auf Flughäfen immer restriktivere Schutzvorkehrungen eingeführt, seit dem 6. November gelten nochmals verschärfte Bestimmungen für Handgepäck. Die Liste der Dinge, die nur noch in speziellen Plastikbeuteln oder gar nicht mehr mit an Bord genommen werden dürfen, ist lang. Zudem müssen Fluggäste neben Taschen und Jacken häufig auch Gürtel, Schuhe und Kopfbedeckungen ablegen und in Röntgenmaschinen durchleuchten lassen.
Das scheint manche Passagiere nun so zu verwirren, dass sie sich genötigt sehen, beim Sicherheits-Check alles screenen zu lassen, was sie bei sich haben - zum Beispiel auch ein Baby. Laut einem Bericht der "Los Angeles Times" legte eine 56-jährige Frau auf dem Flughafen der kalifornischen Metropole tatsächlich ihr wenige Monate altes Enkelkind in einen der gängigen Plastikkästen auf dem Laufband einer X-Ray-Maschine - und setzte es damit einer leichten Röntgenstrahlung aus.
Nachdem der Beamte am Monitor begriffen hatte, was er dort vor sich hatte, fuhr er das Band sofort zurück. Die Aufregung war groß, Sanitäter lieferten das Kleinkind in ein Krankenhaus ein und ließen es dort auf mögliche Strahlenschäden untersuchen. Ergebnis: Die Röntgenstrahlung, die das Baby abbekommen hatte, war ungefährlich. Laut "L.A. Times" beträgt die Strahlendosis in einer gängigen X-Ray-Maschine für Handgepäck nicht mehr als ein Millirem, also etwa so viel, wie ein Mensch an einem Tag an Weltraumstrahlung abbekommt. Zum Vergleich: Bei einer ärztlichen Röntgenaufnahme des Oberkörpers ist die Dosis zehnmal höher.
Stress und Druck durch Vorgesetzte
Dennoch löste der Vorfall, der sich den Angaben zufolge am vergangenen Samstag ereignete, eine aufgeregte Debatte unter amerikanischen Flughafenbetreibern und Sicherheitsexperten aus. Die große Frage dabei: Könnten die immer strikteren Sicherheitsbestimmungen im Flugverkehr womöglich immer häufiger unerwünschte Auswüchse haben, vor allem bei Passagieren, die der Sprache des jeweiligen Landes nicht mächtig sind?
Nach dem Zeitungsbericht sprach die Großmutter des betreffenden Kindes nur Spanisch, verstand also keine englischen Hinweisschilder auf dem Airport. Angesichts massiver Sicherheitskontrollen könnte sie sich dazu genötigt gesehen haben, nicht nur ihr Handgepäck, sondern auch gleich noch ihr Enkelkind durchleuchten lassen zu müssen.
"Statt uns an der Strahlendosis aufzuhängen, die gering war, müssen wir uns eher fragen, warum so etwas geschehen ist - damit es nicht noch mal passiert", sagte James Borgstede, Vorsitzender des American College of Radiology, der "L.A.Times". "Menschen sollten so etwas nicht ausgesetzt werden." Brian Sullivan, ein ehemaliger Angestellter der US-Luftfahrtbehörde, sagte der Zeitung, die Sicherheitsleute auf US-Flughäfen würden immer wieder über Stress und Druck durch Vorgesetzte berichten.
Das könnte Folgen haben: "Wenn ein Baby in diese Maschinen gelangen kann - was zum Teufel kann dann noch hineingeraten?", sagte Sullivan. Eine entscheidende Frage. Denn laut dem Zeitungsbericht gab es früher bereits ähnliche Fälle, wenngleich auch sehr selten. So wurde im Jahr 1988, ebenfalls auf dem Flughafen von Los Angeles, ein Kleinkind in einem Kindersitz durch eine Röntgenmaschine fahren gelassen. Auf dem Airport von Winnipeg in Kanada gab es im selben Jahr einen ähnlichen Vorfall: Dort war es ein zweijähriges, in ein Laken gewickeltes Baby.
Alles sicher in Deutschland?
Könnte so etwas auch auf deutschen Flughäfen passieren? "Absolut nicht", sagte ein Beamter der Bundespolizei am Flughafen Hamburg zu SPIEGEL ONLINE. "Wir achten gezielt und hundertprozentig darauf, dass keine Personen in die Röntgenmaschinen gelangen." Der Sprecher des Bundesinnenministerums, Christian Sachs, wies ein derartiges Szenario weit von sich: "Das widerspricht dem Prozedere, wie Sicherheitskontrollen in Deutschland durchgeführt werden." Auch ein Vertreter der Bundespolizei in Frankfurt schloss derartige Fälle aus. Seine Begründung: An den Handgepäckkontrollen gebe es genügend Personal.
Aber ob das wirklich ausreicht, bleibt zumindest fraglich. Dass die Sicherheitsleute an den Röntgenmaschinen auch hierzulande erhöhtem Stress ausgesetzt sind und sich tagtäglich Beschwerden von genervten Passagieren anhören müssen, weiß so gut wie jeder, der in den vergangenen Monaten von einem deutschen Airport abgeflogen ist. "Diese Menschenmassen sind doch kaum noch zu bewältigen" - diese Klage einer Screenerin auf dem Flughafen Frankfurt vor einem Jahr dürfte auch heute noch kein Einzelfall sein.
http://www.spiegel.de/reise/aktuell/0,1 ... 65,00.html